Ulay

WHOSE WATER IS IT?

„WHOSE WATER IS IT?“ – in großen, leuchtenden Lettern prangt diese Frage an einer der Ausstellungswände. Auf den zweiten Blick lassen sich unter den rot leuchtenden Buchstaben weitere Symbole erkennen – das Euro-Zeichen etwa oder das Dollar-Zeichen. Anhand dieser unter der Oberfläche liegenden zweiten „Schicht“ liefert Ulay selbst die Antwort auf die von ihm aufgeworfene Frage. Mit seiner Arbeit verweist er auf die Hintergründe der Besitzverhältnisse von Wasser.

Längst ist Wasser keine natürliche Ressource mehr, die gerecht verteilt ist, die allen gehört, obwohl sie doch einen Großteil unseres Planeten bedeckt und vermeintlich für alle zugänglich ist. Das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser ist Menschenrecht und doch sind es die wenigen „Big Player“, große multinationale Konzerne, die über Wasser verfügen, die Verteilung beeinflussen und Trinkwasser weltweit abgefüllt in Flaschen vertreiben. Natürliches Mineralwasser, Tafelwasser, Quellwasser – in handlichen Plastikflaschen kommt es oft mehr als Lifestyle-Produkt denn als Grundnahrungsmittel daher. Man muss den Blick nur durch den Ausstellungsraum schweifen lassen, dann fällt einem Minerva Cuevas Wandbild mit dem bezeichnenden Schriftzug „égalité“ ins Auge. Wasser gehört längst nicht mehr allen – diejenigen, die Euros oder Dollar haben, „besitzen“ es und verfügen darüber. Durch die Überlagerung der beiden Ebenen visualisiert Ulay in seinem Werk die Diskrepanz zwischen marktökonomischen Aspekten und humanitären Grundfragen rund ums Wasser.

Längst ist Wasser keine natürliche Ressource mehr, die gerecht verteilt ist, die allen gehört, obwohl sie (...) vermeintlich für alle zugänglich ist.

Dieser grellen, direkten, politischen Arbeit ist ein schlichtes, leises, poetisches Werk von Ulay zur Seite gestellt, ein einfaches, am Boden stehendes rundes Aluminiumobjekt. Verweilt der Betrachter nur wenige Augenblicke vor dem vermeintlich unscheinbaren Objekt, wird klar, dass diese Arbeit doch nicht so leise ist wie gedacht. Von oben tropft Wasser auf das Werk, genauer auf die in der Mitte der Scheibe eingelassene heiße Platte. Das Aufeinandertreffen von Wassertropfen und glühendem Untergrund hat ein lautes Zischen zur Folge – ein kurzer Augenblick und der Tropfen verdampft, verpufft, löst sich in Nebel und schließlich in Nichts auf. Diese Arbeit konfrontiert den Besucher ganz unmittelbar mit Wasser, allerdings nur für einen jeweils kurzen, vergänglichen Moment.

Das Aufeinandertreffen von Wassertropfen und glühendem Untergrund hat ein lautes Zischen zur Folge (...).

Es sind plötzlich weniger Fragen nach sozioökonomischen Zusammenhängen, nach Nahrungsmittelspekulation oder kapitalistischer Ausbeutung von Ressourcen, die sich einem rund um das Thema Wasser stellen. Vielmehr versinnbildlicht diese Arbeit vieles, was wir im übertragenen Sinn, zumindest im deutschen Sprachgebrauch, mit Wassertropfen assoziieren: „Steter Tropfen höhlt den Stein“, „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, der vergebliche „Tropfen auf dem heißen Stein“. Wasser in all seiner Kraft, das Steine aushöhlen kann und uns sagen soll: Auch die kleinen Schritte können Großes zur Folge haben. Oder der eine, letzte Tropfen, der ausreichen kann, dass Flüsse über die Ufer treten, Dämme brechen, Fässer überlaufen. Fällt ein Tropfen jedoch auf heißen Stein, kann er auch ganz ohne Folgen bleiben. Dann verfliegt er, bewirkt nichts. Und doch erreichen Ulays Wassertropfen etwas. Sie führen uns die materiellen Charakteristika von Wasser vor, dessen Aggregatzustand sich ab einer gewissen Temperatur verändert, sodass es sich verflüchtigt.

Die poetische Qualität von Wasser

Darüber hinaus verweist Ulay mit dieser Arbeit aber auch auf die poetischen Qualitäten von Wasser. Es ist transparent, hat keine Farbe, keinen Geschmack, keinen Geruch. Wasser, das fließt, oder tropft, oder steht, aber doch immer ungreifbar bleibt. Diese Undefinierbarkeit von Wasser – sei es in künstlerisch-poetischer Weise oder in Hinblick auf unklare, intransparente Besitzverhältnisse – treibt Ulay als Künstler und als Menschen seit vielen Jahren um und an. Schon 2006 formulierte er in Form eines Gedichts Fragen, die dies deutlich machen:

WATERS ON EARTH AND ABOVE

What are your secrets in no secrets …?

What is your livingness …?

What is your life givingness ….?

What is your life nourishing …?

What is your consciousness …?

What is your memory …?

What is your language …?

What is your color …?

What is your motion …?

What is your insolubility …?

What is your beginning and ending …?

What makes you die …?

(Ulay, 2006)1

Ulay verweist mit seiner Fragensammlung auf unnachahmliche, ihm eigene Weise auf Wasser als Quelle allen Lebens („life givingness“), die uns nährt („life nourishing“), aber auch auf die Endlichkeit von Wasser. Er beschließt seine Überlegungen mit der Frage danach, was Wasser sterben lässt. Unvermittelt kommen Bilder von versiegenden Quellen, leeren Brunnen, ausgetrockneten Flussbetten in den Sinn. Und nicht zuletzt auch oder gerade im Kontext von PEACE mag man an die zahllosen Konflikte und Kriege weltweit denken, die sich um Wasser entspinnen.

Angetrieben von diesen Überlegungen engagiert sich Ulay seit Jahren in Krisenregionen. So hielt er 2004 unterschiedliche Workshops mit Kindern und Jugendlichen in Palästina ab. Für sein Projekt „WATERTOALL“ stattete er die Beteiligten beispielsweise mit Kameras aus und ließ sie ihre ganz persönlichen Bilder von Wasser einfangen, festgehalten dort, wo den Kindern Wasser im Alltag begegnet.

Er beschließt seine Überlegungen mit der Frage danach, was Wasser sterben lässt. Unvermittelt kommen Bilder von versiegenden Quellen, leeren Brunnen, ausgetrockneten Flussbetten in den Sinn.

Auch in Ulays eigenen künstlerischen Arbeiten taucht Wasser seit den 2000er-Jahren vermehrt auf. 2012 schuf er ein mehrteiliges Selbstporträt, bestehend aus Polaroid-Fotografien von gefüllten Wassergläsern. Die Arbeit trägt den sprechenden Titel: „Sweet Water Salt Water. Romancing a Paradox“. Was auf den ersten Blick verwirren mag – ein Wasserglas als Selbstporträt –, scheint doch logisch, fast unumgänglich, macht man sich klar, dass der menschliche Körper zu großen Teilen aus Wasser besteht. Dieser Tatsache ist Ulay sich bewusst und rückt Wasser mehr und mehr ins Zentrum seines Schaffens, kann es doch als Surrogat, als Stellvertreter für den eigenen Körper fungieren.

Somit ist die Auseinandersetzung mit Wasser auch keineswegs als Abkehr seiner jahrelang praktizierten „Körperarbeit“, seiner mit vollem Körpereinsatz gelebten Performancekunst (von 1976 bis 1988 zusammen mit Marina Abramovic) zu verstehen. Über die Jahre trat der Körper mit seiner äußeren Erscheinung, der nackten Haut, nur in den Hintergrund, um dem Platz zu machen, was alles Körperliche bedingt. So rückt auch die jeweilige geschlechtliche, soziale, politische Identität aus dem Fokus. Nicht mehr der alte, weiße, westeuropäische, heterosexuelle Mann bildet das Selbstporträt, sondern Wasser, mit all seiner Undefiniertheit. Ulay selbst bringt das sehr passend auf den Punkt: „We are all bodies of water.“2

Und weil wir alle Wasserwesen sind, sollte auch die Frage danach, wem Wasser gehört und wie diese undefinierbare, ungreifbare Ressource eigentlich „besessen“ und meistbietend verkauft wird, uns alle beschäftigen. Und dazu reicht doch eigentlich auch ein Tropfen auf heißem Stein, der sich nur vermeintlich ins Nichts auflöst.

 

Natalie Storelli

Natalie Storelli arbeitet seit 2015 als kuratorische Assistentin in der Schirn Kunsthalle und war unter anderem an der Realisierung des PEACE Ausstellungsprojektes beteiligt.